Ingenieur Jan Keydel und Architektin Ulrike Adams haben den Gulfhof Klein Schulenburgerpolder mit Kenntnis und Stil saniert. Feriengäste schätzen vor allem die Idylle auf dem alten Marschhof, wo moderne Wohnstandards auf historische Bausubstanz treffen. Ein Rundgang zwischen „Karnhus“ und „Sömmerköken“.
Einen Großteil seiner Kindheit hat Jan Keydel in Ostfriesland verbracht. Und bei Verwandschaftsbesuchen in Hagermarsch und der Krummhörn die Region ebenso schätzen gelernt wie deren typische Gemäuer. Stattliche Höfe aus rotem Klinker inmitten flacher, weiter Landschaft. Errichtet in einer Zeit, in der die Bauern ohne Traktoren und schweres Gerät die Felder beackerten. „1965 kaufte mein Vater das alte Sielwärterhaus am Addinggaster Tief. So hatte ich schon früh eine Beziehung zu alten Gebäuden.“ Studium und Beruf führten Jan Keydel nach Göttingen, wo der Elektroingenieur heute seinen festen Wohnsitz hat. Doch die Liebe zu Ostfriesland ist geblieben. „Ich bin immer hier, wenn ich es mir leisten kann“, sagt Keydel und lächelt. Und seit er 2013 mit dem Gulfhof Klein Schulenburgerpolder in Neuwesteel ein regionstypisches Baudenkmal erworben hat, lockt Ostfriesland mehr denn je.
Mit seiner Frau Ulrike Adams, von Beruf Architektin, und einem kleinen Team aus Göttingen hat Jan Keydel das 1842 erbaute Vorderende aufwändig saniert. In fast dreijähriger Bauzeit ist ein architektonisches Schmuckstück entstanden: „Die Herausforderung war, die historische Substanz zu sichern und das Gebäude gleichzeitig für heutige Wohnansprüche nutzbar zu machen.“ Die Scheune des Marschhofs ist vermutlich bereits um 1780 errichtet worden. „Um diese Zeit wurde der Klein Schulen- burgerpolder eingedeicht“, weiß Jan Keydel. Ursprünglich wollte man einen zusammenhängenden Schulenburgerpolder anlegen. Noch während der Deichbauarbeiten kam es 1774 zum Deichbruch und anders als geplant, entstanden zwei durch einen Flügeldeich voneinander getrennte Polder: Groß Schulenburgerpolder und Klein Schulenburgerpolder, benannt nach dem damaligen Minister von der Schulenburg. Das Wohngebäude erbauten später die Familien Agena und Itzen, wie die Inschrift über der Tür zum klassizistischen Wohngebäude verrät. „Der Hof war bis zum Schluss in Familienbesitz“, sagt Keydel. Der Klein Schulenburgerpolder umfasst 46 Hektar. „Bester Marschboden, der 150 Jahre lang Lebensgrundlage für die Bauernfamilie war – anfangs samt Mägden und Knechten.“ Innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte hat sich die Landwirtschaft im Zuge der Technisierung spürbar verändert: Für einen lohnenden Ackerbaubetrieb braucht es mittlerweile rund 200 Hektar Land. So wurde auch der Klein Schulen- burgerpolder 2011 von einem größeren Ackerbaubetrieb übernommen, 2010 hatten die Eigentümer aus Altersgründen den landwirtschaftlichen Betrieb eingestellt. „Das Hofgebäude genügt den Ansprüchen moderner Landwirtschaft nicht“, sagt Keydel. Weder lassen sich in der Scheune große Maschinen unterbringen, noch ist eine wirtschaftliche Tierhaltung darin möglich. Also stellte sich die Frage: Wie kann man den Hof als Denkmal erhalten und wieder nutzbar machen? „Um es selbst zu bewohnen, ist das Haus zu groß, so lag die Umnutzung des Vorderendes zur Ferienunterkunft auf der Hand“, sagt Ulrike Adams. „Das Gebäude soll sich selbst erhalten, etwas erwirt- schaften.“ Doch bevor im Sommer 2015 die ersten Feriengäste einziehen konnten, musste viel passieren: Um Heizkosten zu senken, wurde das Wohngebäude professionell gedämmt und mit neuen Fenstern ausgestattet, Kaminöfen, die in den 1970er-Jahren stillgelegt worden waren, wurden instand gesetzt. Auf dem lange Zeit ungenutzten Kornboden sind Sanitär- und Schlafräume entstanden. Insgesamt vier Ferienwohnungen haben Keydel und Adams im Vorderende eingerichtet: die „Good Stuuv“ für bis zu zwei Personen, „Upkammer“, „Karnhus“ und „Sömmerköken“ bieten fünf bis sechs Personen Platz. Jeweils zwei Wohnungen haben eine Verbindungstür und können bei Bedarf zusammengelegt werden. „Gerade hatten wir eine größere Gruppe zu Gast zu feiern“, erzählt Ulrike Adams. Als Party-Location diente der weitläufige Garten. „Unsere Feriengäste wissen die Eigen- heiten des Gebäudes zu schätzen. Auch wenn man die Wohnungen separat vermietet, begegnen die Bewohner sich zwangsläufig auf dem Flur, kommen ins Gespräch. Bei uns ist eben alles ein bisschen anders.“ Besonders sind auch die Räume: Sie wurden mithilfe von histo- rischen Farbbefunden gestaltet, alte Zimmertüren wurden restauriert. Decken- und Fußbodendielen und Fenster ent- sprechen nun wieder weitgehend dem historischen Vorbild. Überlieferte Pläne gab es nicht, lediglich ein paar alte Fotos. Um ein Gefühl für die Vergangenheit des Gebäudes zu bekommen, haben Keydel und Adams eine Farbrestauratorin beauftragt. „Farbe ist unglaublich wichtig für die Harmonie“, sagt Jan Keydel. „Früher hatte man ein gutes Gefühl dafür, hat sich mehr damit auseinandergesetzt und nicht einfach die ,Farbe der Saison‘ gewählt.“ Im Vorderende des Gulfhofs sind zum Beispiel viele Grüntöne zu finden – in perfekter Harmonie mit dem, was der Blick aus dem Fenster offenbart. Aber auch Wände und Decken in kräftigem Rosa fallen ins Auge: „Da wären wir ohne die Farbuntersuchung nicht drauf gekommen – aber der Gesamteindruck passt!“ So hält die Sanierung eines alten Gebäudes immer wieder Überraschungen bereit: Einige Original-Türen des Wohnhauses fand Keydel per Zufall auf einem benachbarten Hof wieder. Die einstigen Eigentümer hatten sie dem Nachbarn überlas- sen, der sich ein Bücherregal daraus bauen wollte. „Zum Glück konnte ich ihn überreden, mir die Türen zurückzugeben“, lacht Keydel. „Es hat viel Spaß gemacht, solche Dinge zu ent- decken. Wenn man irgendwo den Putz abschlägt, findet man etwas dahinter. Vielleicht ein altes Fester oder eine Feuerstelle Und dann stellt sich die Frage: Kann ich es erhalten? Ist das sinnvoll?“ Schließlich sollte kein Museum, sondern Wohnraum entstehen. Die alte Treppe, die in der Wohnung „Karnhus“ vom Erdgeschoss zu den Schlafräumen führte, war zu steil und unsicher, um Gäste und vor allem Kinder dort hinaufzu- schicken. „Eine pseudohistorische Treppe hätte hier nicht funktioniert“, sagt Jan Keydel. Deshalb haben er und seine Frau sich bewusst für eine moderne Variante entschieden, die mit dem Rest harmoniert. „Eine altes Gebäude ist immer eine Summe aus Kompromissen“, resümiert der Eigentümer. Der Spagat zwischen Erhalten und Erneuern ist dem Elektroingenieur und der Architektin gelungen – mit sicherem Gefühl für Stil und für die Geschichte des Hauses. Blickfang im „Karnhus“ ist ein bemalter Alkoven mit einem per Leiter erreichbaren Schlafplatz. „Kinder lieben das!“, sagt Ulrike Adams. Die Jugenstilbemalung und die noch ältere Bemalung darunter wurden nur teilweise sichtbar gemacht. „Sonst wäre der Raum zu dunkel geworden.“ Das außergewöhnliche Engagement für die Denkmalpflege ist im November 2016 mit einer Belobigung der Niedersächsischen Sparkassenstiftung ausgezeichnet worden. Möglich war die Umnutzung des Gulfhofs laut Keydel vor allem dank der guten Zusammenarbeit mit der Denkmalschutzbehörde. Und mit der Unterstützung umsichtig arbeitender Handwerks- betriebe: „Nicht jeder kann mit alter Substanz umgehen“, weiß er. „Auch die Handwerker müssen das Haus wertschät- zen. Für so ein Projekt braucht man Bastler und Tüftler, die Lust haben, Lösungen zu finden.“ Lediglich die Scheune – der Ursprung des Gulfhofs – ist so geblieben, wie sie war. „Zum Glück ist das Dach heile gewe- sen.“ Und hier kann man sehen, was ein Gulf eigentlich ist: „So bezeichnet man die Fläche zwischen vier Tragbalken“, erklärt Jan Keydel. „Die Bauart ist immer gleich.“ Auf dem Klein Schulenburgerpolder ist ein Stück ostfriesischer Zeitgeschichte erhalten geblieben. Und wird Tag für Tag mit Leben gefüllt. Mit einem Schmunzeln zeigt Keydel auf ein altes Zierfenster mit kaputtem Glas. „Das lassen wir so. Damit die Eule reinkann.“